The Volcano

Liebe Freunde des amerikanischen Südwestens,

es ist der Morgen eines wolkenverhangenen Tages im Mai 2007. Wir sind in Escalante aufgebrochen und fahren nun auf der Old Sheffield Road. Kein Auto ist weit und breit zu sehen. Offenbar hat das trübe Wetter alle Camper und Wanderer von hier vertrieben. Nicht weit vom Ende der Straße, da wo der Sand eine besorgniserregende Tiefe anzunehmen beginnt, parken wir. Seit einigen Tagen erkunden wir nun schon Zugänge von der Old Sheffield Road zum Escalante River. Für heute haben wir uns ein interessantes System rechtwinklig zueinander verlaufender Spalten vorgenommen, die viel tiefer sind, als die Topo Map vermuten lassen würde. Einheimische sprechen von den Sheffield Cracks, Michael Kelsey gab ihnen den Namen Spencer Canyon.

Für alle, die von Michael Kelsey noch nie etwas gehört haben: Er ist der vermutlich weltbeste Kenner des Colorado Plateaus und war dort in so ziemlich jedem größeren Canyon. Seine 15 Bücher über Wandern, Bergsteigen und Canyoneering sind eine einzigartige Informationsquelle und stellen in ihrer Gesamtheit ein absolut imponierendes Lebenswerk dar. Viele Wanderer (einschließlich meiner selbst) haben erst durch seine Bücher die ganze Schönheit und Vielfalt des Canyon Country kennen gelernt und haben allen Grund, ihm dafür dankbar zu sein. Aber Michael hat nicht nur Freunde. Seine große Offenheit trifft nicht überall auf uneingeschränktes Verständnis. Auch wird ihm immer wieder entgegen gehalten, dass die von ihm angegebenen Gehzeiten von so gut wie niemand außer ihm selbst eingehalten werden können und Anfänger nicht ausreichend vor Gefahren gewarnt werden. - Doch zurück zur Old Sheffield Road.


Pothole im Spencer Canyon

Der goldene Thron der Old Sheffield Road

Ich binde mir gerade die Schuhe als meine Frau sagt: "Schau mal, da kommt ja doch noch ein Auto!" Ohne aufzusehen antworte ich belustigt: "Das kann nur Michael Kelsey sein. Sonst verirrt sich niemand in diese gottverlassene Gegend." Als ich dann doch hochsehe, winkt uns ein älterer Herr aus einem vorbeifahrenden Chevrolet freundlich zu. Mir klappt vor Verblüffung die Kinnlade runter. Es dauert einen Moment bis ich mich wieder unter Kontrolle habe. Kein Zweifel, gerade eben fuhr Michael Kelsey an uns vorbei, ist nun aber außer Sicht.

Begeistert von meinen neu entdeckten hellseherischen Fähigkeiten bedauere ich zutiefst, sie nicht gleich in einem Spielcasino auf die Probe stellen zu können. Doch Las Vegas ist weit und so bleibt uns nichts anderes übrig, als einfach aufzubrechen.

Aber schon nach der nächsten Wegbiegung treffen wir wieder auf Michael, der sich gerade auf seine Tour vorbereitet. Ich begrüße ihn und stelle uns vor. Es beginnt ein lebhaftes und interessantes Gespräch, und natürlich kommt die Sprache auch auf die Pläne für den heutigen Tag. Ich breite meine Topo Map auf dem Kühler seines Autos aus. Sie ist voller Routen, die ich aus Büchern, dem Internet, persönlichen Mitteilungen und eigenen Erkundungen zusammengetragen habe. Zu meiner Verblüffung beginnt Michael sogleich damit, einige Routen auf seine eigene Karte zu übertragen und mich nach meinen Erfahrungen auszufragen. Bereitwillig gebe ich Auskunft. Dann sprechen wir über zwei Slot Canyons, in denen wir bereits mehrmals waren. Ich zeige ihm eine Abkürzung zum Einstieg.


Blickrichtung Osten

Blickrichtung Westen

Vielleicht fühlt sich Michael jetzt bei der Ehre gepackt: "Und hier ist der Vulkan!" (Wir führten die Unterhaltung natürlich auf Englisch). "Ein Vulkan???" Michael hört den zweifelnden Unterton aus meiner Stimme und lächelt. "Schau Dich um, überall hier ist Sandstein, aber dort ist Lava!" Mit seinem Kugelschreiber markiert er die Stelle auf meiner Karte. Der Mann will mich wohl auf den Arm nehmen, denke ich mir. Weil ich aber noch ein paar andere Themen anschneiden möchte, verzichte ich darauf nachzuhaken.

So langsam wird es dann aber doch Zeit, das Phantom der Canyons nicht länger aufzuhalten. Da fällt mir ein, wie ich vor vielen Jahren einmal Leni Riefenstahl bei einer Tauchausfahrt auf den Malediven begegnet bin. Es ärgert mich bis heute, dass ich mir damals kein Autogramm von ihr in mein Logbuch habe geben lassen. So bitte ich Michael, zur Erinnerung für mich, die Topo Map zu signieren, was er mit einem breiten Lächeln auch tut. Wir verabschieden uns. Dann trennen sich unsere Wege.

Den Tag über zieht uns der Spencer Canyon, der einen eigenen Bericht wert wäre, in seinen Bann. Doch schon auf dem Weg zurück nach Escalante kreisen unsere Gedanken wieder um den mysteriösen "Vulkan". Wir beschließen das Rätsel zu lösen.


Abstieg in den Spencer Canyon

Der nächste Morgen wartet mit kühlem Wind, aber auch strahlend blauem Himmel auf. So wie am Vortag wählen wir den Zugang über die Old Sheffield Road und parken bei GPS: 12S 04 69 066 UTM 41 73 365 (NAD27 CONUS). Von hier gehen wir etwa 3,5 km in südöstlicher Richtung und dann noch einen guten km in Richtung Süden. Der Boden besteht weitgehend aus Slickrock und macht das Gehen leicht. Bei unserem gemütlichen Tempo mit einigen Fotopausen haben wir erst nach knapp drei Stunden die von Kelsey markierte Stelle erreicht. Wir überschreiten, von Norden kommend, die auf der Karte vermerkte Höhe 5847 und … blicken in den "Vulkan"! GPS: 12S 04 72 164 UTM 41 70 518 (NAD27 CONUS). Auch wenn uns weder stechende SO2-Dämpfe, noch rot glühende Lava empfangen, so ist die Ähnlichkeit dieser Sandsteintasche mit einem erloschenen Vulkan doch verblüffend. Der Name "The Volcano" ist perfekt gewählt.

Von unserem Hügel, der den Krater im Norden begrenzt, haben wir einen großartigen Überblick. Uns gegenüber liegt die mächtige, überhängende Südwand, während West- und Ostseite des Kraterrandes deutlich niedriger sind. Auf dem Kraterboden hat der Wind eine mehrere Meter hohe Sanddüne geschaffen, aus der ein Sandsteinmonolith empor ragt. Selbst auf Satellitenfotos kann man ihn noch erkennen. Was für ein Anblick!

Leider reichen meine geologischen Kenntnisse nicht aus, um die Entstehung dieses kleinen Naturwunders überzeugend zu erklären. Offensichtlich ist nur, dass ein weicher Kern der Erosion schneller zum Opfer fiel als die harte Schale, die wir heute sehen. Sollte dieser Bericht irgendwann einmal einem Geologen in die Hände fallen, so würde ich mich über ein E-Mail von ihm sehr freuen!

Der Hügel auf der Nordseite des Vulkans ist auch der beste Standort für Fotos. Allerdings braucht man schon ein echtes Weitwinkelobjektiv von <= 28 mm Brennweite (bezogen auf das Kleinbildformat), um den Vulkan ganz aufs Bild zu bekommen. Damit nicht allzu große Teile des Motivs im Schatten liegen, dürfte die beste Tageszeit zum Fotografieren vom späten Vormittag bis zum frühen Nachmittag sein. Gerne lasse ich mich in dieser Frage aber eines Besseren belehren.

Um den Vulkan noch aus einer anderen Perspektive zu sehen, steigen wir zum östlichen Kraterrand ab und machen dort eine interessante Entdeckung: Moqui Steps führen von hier bis zum Boden des Vulkans. Doch Vorsicht, nur trittsichere Kletterer sollten sich ihnen ohne Seilsicherung anvertrauen! Wer wohl hat diese Stufen wann und aus welchem Grund in den Fels gehauen? Waren es Indianer, die in dieser trockenen Gegend ein natürliches Wasserreservoir nutzen wollten?

Auf dem Rückweg machen wir noch einen Abstecher zu einem nahe gelegenen Hügel. Michael hatte ihn mit "Fotos" auf der Karte markiert. Und in der Tat erweist er sich als ein spektakulärer Aussichtspunkt. Abends in Escalante stoßen wir dann mit einem kühlen Bierchen auf Michael Kelsey an, ohne den wir um so viele großartige Naturerlebnisse ärmer wären, aber auch auf das Grand Staircase-Escalante National Monument, das uns wieder mal eines seiner kleinen Geheimnisse offenbart hat. Wie viele werden wohl noch folgen?


Hier befindet sich der Vulkan!

Ich wünsche Euch allen viel Spaß beim Tanz auf dem Vulkan und ein sicheres Gelingen aller Eurer Unternehmungen!

Peter Felix Schäfer, www.canyonwandern.de