Lees Ferry

Liebe Freunde des amerikanischen Südwestens,

1896 hielt die Welt den Atem an: Am Klondike River in Kanada wurde Gold gefunden. Zehntausende von Glücksrittern machten sich daraufhin auf den Weg in den hohen Norden. Jack London hat diesem Goldrausch mit seinen Romanen ein literarisches Denkmal gesetzt. Aber auch die stillen Canyons des Südwestens wurden von Prospektoren systematisch nach lohnenden Erzvorkommen abgesucht. Fette Nuggets fand man hier jedoch nicht, allenfalls geringe Mengen fein verteilten Goldstaubes, die den Abbau nicht lohn(t)en. Einen aber focht das alles nicht an. Er setzte seine Vorstellungskraft und unbändigen Optimismus gegen die nüchternen Analysenergebnisse. Sein Name war ... Charles H. Spencer.

Wir schreiben das Jahr 1910 als Spencer in Lees Ferry ankommt. Er hat es auf die farbenprächtige Chinle Formation abgesehen, die hier am Colorado offen zu Tage liegt. Aus zwei Gründen erscheint sie ihm als besonders geeignet: Zum einen vermutet Spencer in ihr einen höheren Goldgehalt als in anderen Schichten, zum anderen ist sie relativ weich und daher mit einem gegen sie gerichteten Wasserstrahl leicht abzutragen. Das Wasser spült den aufgeschlämmten Sandstein über Becken mit Quecksilber, wobei die feinen Goldpartikel als Amalgam gebunden werden. Nach Abdestillieren des Quecksilbers bleibt das Rohgold zurück. So jedenfalls die Theorie, doch bevor es soweit ist, müssen noch ein paar praktische Probleme gelöst werden ...


Echo Cliffs bzw. Echo Peaks

Das erste ist, wie sollte es anders sein, Geld! Spencer braucht es für den Ankauf von Material und die Bezahlung von Arbeitern. Schließlich will er die Sache groß aufziehen. Aus diesem Grund hat Spencer bereits in Chicago mit der American Placer Corporation erfolgreich Kontakt aufgenommen. Dort in der Großstadt gibt es genügend reiche Leute, die Venture Capital, renditehungriges Wagniskapital, zur Verfügung stellen.

Ein schwerwiegenderes Problem ist logistischer Natur. Um die Wasserpumpen zum Abschlämmen des Gesteins zu betreiben, braucht man heißen Wasserdampf. Unter beträchtlichem Aufwand wird daher ein großer stählerner Boiler (s. Bericht Spurensuche am Paria River) nach Lees Ferry gebracht und probeweise mit eingesammeltem Treibholz befeuert. Das gelingt. Nun wird bedeutend mehr Brennmaterial benötigt. Zum Glück sind etwa 30 Meilen weiter nordöstlich Kohleflöze bekannt. Sie liegen im Crosby Canyon, einem Seitenarm des Warm Creek Canyon (s. Bild). Wie aber kann die Kohle von dort nach Lees Ferry geschafft werden? Schließlich ist der Canyon des Colorado River hier etwa 500 Meter tief.

Nur eine Route kommt für Packtiere in Frage. Sie beginnt im Paria Canyon etwa 5 km oberhalb der Mündung in den Colorado und führt zum sog. Dominguez Pass, der 1776 von der berühmten Dominguez/Escalante Expedition entdeckt wurde. Im oberen Teil ist diese Route recht steil und natürlich ist sie auch ein beträchtlicher Umweg. Spencer lässt daher seine Leute unmittelbar nördlich von Lees Ferry einen Pfad in die Klippen sprengen, hacken und schaufeln. Später wird er unter dem Namen Spencer Trail bekannt werden. Die Weganlage ist sehr elegant und die Geldgeber zeigen sich beeindruckt.

Vielleicht ein bisschen zu sehr, denn noch immer steht der praktische Beweis einer erfolgreichen Goldgewinnung aus. Doch Gier macht Menschen bekanntlich blind und so beschließen sie, die Aktivitäten weiter zu forcieren. Ohne Spencers Zutun veranlassen die Financiers, dass in einer Werft in San Francisco ein Schaufelraddampfer in Einzelteile zerlegt und (unter beträchtlichem Aufwand) bis an das Ufer des Colorados gebracht wird. Dort wird das Boot wieder zusammengesetzt, erfolgreich zu Wasser gelassen und auf den Namen Charles H. Spencer getauft. Nun wird Kohle von der Mine im Crosby Canyon auf Ochsenkarren zum Ufer des Colorados gebracht, dort auf die Charles H. Spencer (und eine Lastbarke) verladen und erfolgreich nach Lees Ferry verschifft. Der Transportweg auf dem Fluss ist dem ursprünglich geplanten Landweg ganz offensichtlich weit überlegen. Trotzdem macht das Dampfschiff nur wenige Male diese Fahrt und geht dann am Ufer vor Lees Ferry für immer vor Anker (s. Bild). Inzwischen ist nämlich ein ganz unerwartetes Problem aufgetreten: Die Chemie stimmt nicht!


Die Überreste der Charles H. Spencer

Steinerner Korral am Dominguez Pass

Auf dem Quecksilber der Amalgamator-Platten bildet sich ein Film bzw. eine Kruste, die die Absorption der Goldpartikel verhindert. Es gelingt Spencers Chemikern aber nicht aufzuklären, was dieser rätselhafte Film ist.

Eigentlich schade, denn wie sich Jahrzehnte später herausstellen sollte, hatte sich hier Rhenium, eines der letzten unentdeckten Elemente des Periodensystems, angereichert. Die Existenz dieses Elements war bereits 1871 von Mendelejeff vorausgesagt worden, doch konnte es erst 1925 von zwei deutschen Chemikern, die es nach ihrer Heimat, dem Rheinland, benannten, in Molybdänerzen nachgewiesen werden.

Zum Glück für die Umwelt kommt Spencer nicht auf die Idee das seit etwa 1890 bekannte Verfahren der Cyanidlaugerei auszuprobieren, vielmehr verlegt er 1912 seine Aktivitäten an den Paria River, ganz in die Nähe der schon zur damaligen Zeit weitgehend verlassenen Ortschaft Old Pahreah (s. Bericht Spurensuche am Paria River). Doch auch hier schlagen alle Versuche fehl. Ein Jahr später sind die Claims verlassen. Zurück bleiben technisches Gerät und einige Gebäude, deren Überreste wir heute, fast 100 Jahre später, noch immer sehen können.


Zugemauerte Stolleneingänge im Crosby Canyon

Auch den Spencer Trail gibt es noch immer. Er beginnt ein paar hundert Meter vom Parkplatz entfernt und ist gut ausgeschildert. Als ich ihn im Mai 2005 beging, war er in hervorragendem Zustand. Man sollte allerdings möglichst früh am Morgen losgehen, da dann der Pfad noch im Schatten liegt. Nach etwa 1,5 Stunden hat man die 500 Höhenmeter überwunden und den Canyonrand erreicht. Der Tiefblick auf den Colorado River, Lees Ferry und die Echo Cliffs auf der anderen Seite des Flusses ist überwältigend schön!

Wer nun umkehrt hat am Nachmittag noch genügend Zeit sich die Lonely Dell Ranch anzuschauen und die qualmenden Füße im kalten Wasser des Colorado abzukühlen. Ausdauernde Wanderer mit gutem Orientierungsvermögen (s. Bericht Kurs halten!) werden vielleicht den Weiterweg zum Dominguez Pass (s. Bild) mit nachfolgendem Abstieg in den Paria Canyon in Erwägung ziehen. Das wird dann allerdings eine lange Tagestour. Ich brauchte dafür in einem gemütlichen aber konstanten Tempo ca. 9,5 Stunden. Wer ernsthaft daran interessiert ist, kann sich zwecks weiterer Infos gerne per E-Mail an mich wenden.

Irgendwie kommt mir die Geschichte von Spencers fehlgeschlagener Goldsuche seltsam vertraut vor. Vielleicht sind die Goldsucher von heute die Akteure an der Börse. Man denke nur an das Börsensegment "Neuer Markt", das es in den neunziger Jahren gab. Da verbreiteten junge Startup - Unternehmen mit interessanten Ideen zu Internet, Biotechnologie und anderen Geschäftsfeldern Goldgräberstimmung. Kaum ein Anleger aber konnte die (technische) Realisierung beurteilen, doch alle wollten die Party mitfeiern. Wie vor hundert Jahren in Kanada kam es zu einem regelrechten Rausch, die Aktienkurse explodierten, aber nur die allerwenigsten sahen das Platzen der Blase voraus. Das Ende ist bekannt. Zurück blieben Investitionsruinen wie die riesige Halle der Cargo Lifter AG im Spreewald, die heute als Freizeitpark herhalten muss. Immer wieder bestätigt sich eben das alte Sprichwort: Es ist nicht alles Gold was glänzt!

Ich wünsche Euch allen viel Spaß beim Wandern und ein "goldenes Händchen" bei allen Euren Unternehmungen!

Peter Felix Schäfer